In Polens Süden gibt es entlang des Dunajec-Flusses attraktive Fahrradrouten und in Krakau kann man Stanislaw Lem entdecken.
Maciej streckt den Zeigefinger seiner linken Hand in die Höhe und ruft voller Begeisterung: „Ein Zilpzalp, hört nur, ein Zilpzalp!“ Die rechte Hand behält er am Lenkrad, denn freihändig sollte man auch auf den bestens ausgebauten Fahrradwegen entlang des Dunajec-Flusses nicht radeln. Es dauert keine weiteren einhundert Meter, dann hält er an, steigt vom Rad und schleicht sich hinüber zur Wiese. Jetzt erwidert er den Ruf des Vogels und zwar so überzeugend, dass sofort ein Vogelstimmen-Konzert ertönt, das einem den Atem raubt. Dieses Schauspiel wiederholt sich auf dieser Tagesroute noch mehrmals, das Etappenziel erreichen wir trotzdem pünktlich und mit einer Menge Wissen über die Vogelwelt in Kleinpolen. Der Zilpzalp wird auch Weidenlaubsänger genannt, brütet vor allem in Wäldern mit Altholzbestand und einer dichten Strauchdecke, aber auch auf wilden Wiesen. Er ernährt sich von Insekten, Spinnen, Asseln und Beeren. Wer hätte das gedacht: Wenn man eine Fahrradtour bei Maciej Zimowski gebucht hat, die er selbst begleitet, bekommt man einen kostenlosen Kurs in Ornithologie dazu. Wenn Po und Waden nach dreißig Kilometern beginnen zu piksen, wird man von den Piepmätzen entschädigt. Sofern Maciej gut aufgelegt ist, und das ist er eigentlich immer.
Maciej Zimowski führte zu Beginn seiner Radreiseveranstalter-Tätigkeit Ornithologen zu den Vogelrastplätzen durch ganz Polen
Brücke zur Slowakei
Radroute entlang des Dunajec-Flusses
Abwechslungsreiche Kultur- und Naturerlebnisse bietet im polnisch-slowakischen Grenzgebiet der komplett neu entstandene Dunajec-Radweg, der von der Tatra durch die Beskiden und entlang des spektakulären Durchbruchstal des Dunajec-Flusses führt. Die südpolnische Woiwodschaft Malopolska (Kleinpolen) zieht mit rund 1000 Kilometern an neuen Radwegen Aktiv-Touristen an, weitgehend fertiggestellt ist eine etwa 200 Kilometer lange Route entlang der Flüsse Dunajec und Poprad, die spektakuläre Ausblicke beinhaltet. Diese einzigartige Landschaft begeistert die Besucher, die Radroute wurde immer populärer und so entschloss sich die Verwaltung der Woiwodschaft, dort einen neuen Radweg zu bauen, der internationalen Maßstäben gerecht wird.
Inzwischen ist die Strecke zwischen Zakopane und Nowy Sącz (Neu-Sandez) weitgehend fertiggestellt. Sie misst mit Nebenstrecken rund 200 Kilometer und führt zu rund 90 Prozent über neue asphaltierte Radwege. Entstanden sind mehrere Radfahrer-Brücken über den Fluss sowie gemütliche Rastplätze. In Zakopane bringt eine Standseilbahn die Radler auf den Berg Gubałówka, wo die Tour beginnt. Leicht bergab geht es in das Dorf Chochołow, das für seine Holzarchitektur berühmt ist. Von dort führt die Route über einen stillgelegten Bahndamm nach Nowy Targ (Neumarkt), dann weiter entlang des Flusses bis nach Dębno an der Nordspitze des Czorsztyn-Stausees. In dem Dorf befindet sich eine aus dem 15. Jahrhundert stammende gotische Holzkirche, die zum Weltkulturerbe der UNESCO zählt.
Auch um den Stausee wurde Ende 2019 ein 30 Kilometer langer Rad-Rundweg eröffnet. Der nächste Abschnitt ist der spektakulärste. Er führt auf einem naturbelassenen Weg durch die Slowakei und durch den grenzüberschreitenden Nationalpark des Pieniny-Gebirges. Der Weg folgt den vielen Windungen im Durchbruchstal des Dunajec. Bis zu 300 Meter erheben sich zu beiden Seiten die kahlen Felswände. Auf dem Fluss sind in den Sommermonaten zahllose Flöße unterwegs, gesteuert von den Goralen, den Bergbewohnern in ihren farbenfrohen Trachten. Hinter dem mondänen Kurort Szczawnica führt die Route durch kleine Dörfer und über drei neue Brücken bis in die historische Kleinstadt Stary Sącz (Alt-Sandez). Dort trifft der neue Velo Dunajec auf einen Abschnitt des EuroVelo 11, der durch das reizvolle Poprad-Tal bis zum Kurort Muszyna führt. Der Euro Velo 11 soll in die entgegengesetzte Richtung von Stary Sącz bis Kraków (Krakau) erweitert werden. Der Velo Dunajec ist bisher bis zur Kreistadt Nowy Sącz (Neu-Sandez) mit ihrem bekannten Freilichtmuseum befahrbar. Von dort aus ist es nicht mehr weit nach Krakau oder Zakopane.
Kultur in Krakau
Es gibt viele gute Gründe, eine Radreise am Dunajec-Fluss mit einer Städtereise nach Krakau zu kombinieren. Die Hauptstadt Kleinpolens war bis 1596 Hauptstadt des Königreichs Polen, sie besitzt noch heute Kulturdenkmäler höchster Güte. In der ehemaligen Residenz auf dem Wawelhügel samt Renaissance-Schloss und Kathedrale sollte man sich die Gobelin-Sammlung ansehen, die aus dem 16. Jahrhundert stammt und über 130 Exemplare umfasst. Diese größte Sammlung Polens ist zugleich eine der imposantesten Ausstellungen dieser Art weltweit. Die „gewobene Geschichte“ mit Darstellungen Adam und Evas, der Sintflut und des Turmbaus zu Babel ist genauso beeindruckend wie ein Besuch der Marienkirche in der attraktiven Altstadt, die mit dem Krakauer Hochaltar ein Meisterwerk von Veit Stoß besitzt, das mit einer Höhe von dreizehn und einer Breite von elf Metern den größten spätgotische Schnitzaltar aus dem 15. Jahrhundert besitzt.
Die gesamte Altstadt und der zentrale Marktplatz in Krakau gehören zum UNESCO-Weltkulturerbe. Die Marienkirche (u.l.) ist das Wahrzeichen der Stadt, vom Wawel aus (u.r.) regierten die polnischen Könige das Land.
Im Jahre 2021 feierte Krakau mit dem 100. Geburtstag des Schriftstellers Stanislaw Lem einen Universalgelehrten, der oft als Science-Fiction-Autor verkannt wird. Man kann den Spuren des Philosophen und Essayisten durch Krakau folgen, dabei das wunderbare jüdische Viertel Kazimierz entdecken und zwei große Wandgemälde, die an den Visionär erinnern, der manch kritische Entwicklung der digitalen Zeiten vorhergesagt hat: „Zum Schluss werden die Menschen auf das Niveau hirnloser Diener der eisernen Genies schrumpfen und beginnen, sie als Götter zu verehren.“
Bis es soweit ist, kann man im Krakauer Wissenschaftspark Stanislaw Lem spielerisch und unterhaltsam etwas dagegen tun, dass das eigene Gehirn einrostet. Für die körperliche Fitness hat ja der Dunajec-Radweg bereits gesorgt.
Der Krakauer Hochaltar in der Marienkirche ist ein großer Kunstschatz.
Jörg Berghoff führt als freier Autor und Journalist seit 1998 ein Pressebüro für Tourismus, Kultur und Sport. Als Reisejournalist spezialisiert auf Irland, Großbritannien, Europa und Australien. Studium der Kunstgeschichte und Ethnologie, Winzermeister und Buchhändler.
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